In den letzten Jahren ist der Bereich der Entwicklung von Videospielen stark gewachsen - und wird voraussichtlich auch weiterhin ansteigen. Spieleentwickler Jesse Schell spricht von einer Entwicklung hin zu einer "Gamepocalypse":

... when every second of your life you’re actually playing a game in some way.

Jesse Schell, Spieleentwickler

Neben vollwertigen (Video-)Spielen werden jedoch zunehmend auch Elemente aus Videospielen zur Verbesserung der User Experience in nicht-spielerischen Anwendungen eingesetzt. Auch im Webdesign gewinnen spielerische Faktoren an Bedeutung, um Besucher zu einer intensiven Interaktion mit einer Webseite zu motivieren.

Grund genug, das Phänomen Gamification näher zu betrachten. In einem ersten Schritt stellen wir wichtige Begriffe und Bausteine rund um Gamification im Webdesign vor.

Spielen abseits von Spielen: Definition von Gamification

Der Einsatz von Elementen aus Spielen grenzt Gamification von anderen Konzepten der Mensch-Maschine-Kommunikation ab. Im Rahmen des Gamification Workshops 2011 wird Gamification definiert als "Einsatz spielerischer Elemente in einem nicht-spielerischen Kontext".

Das Prinzip der Gamification stützt sich folglich auf drei Grundgedanken:

  • Spielregeln und ein gewisser Grad an Wettkampf geben einen Rahmen vor.
  • In diesem Rahmen entsteht kein vollwertiges Spiel, sondern es werden lediglich Elemente aus Spielen eingesetzt (= Spielmechaniken). Diese Elemente sind nicht genau eingrenzbar; sie müssen allgemein charakteristisch für Spiele sein.
  • Diese Elemente werden nicht zur reinen Unterhaltung eingesetzt, sondern zielen auf eine generelle Verbesserung der User Experience (z.B. durch Motivation oder Spaß an der Bedienung) ab.

Im Webdesign beschreibt Gamification den Einsatz von Spielmechaniken in Webseiten und Webanwendungen, mit dem Ziel, diese reizvoller und einfacher zu gestalten.

Bausteine der Gamification: Merkmale von Spielmechaniken

Gamification basiert auf dem Einsatz von Spielmechaniken, die wie erwähnt charakteristisch für Spiele sein müssen. Der Spieleentwickler Daniel Cook beschreibt Spielmechaniken als:

[...] rule based systems / simulations that facilitate and encourage a user to explore and learn the properties of their possibility space through the use of feedback mechanisms.

Daniel Cook, Spieleentwickler

Spielmechaniken dienen also der Motivation des Spielers durch Feedback. Dieses Feedback ist eine Reaktion auf Handlungen des Spielers und bietet ihm neue Informationen, auf deren Basis er weitere Entscheidungen treffen und Aktionen bewusster durchführen kann.

Spielmechaniken nach Cook: Handlung des Spielers, Effekt und Feedback.

Im Webdesign werden insbesondere soche Spielmechaniken eingesetzt, die Besucher kurz- und langfristig zur Interaktion mit einer Webseite motivieren:

  • Punkte
    Das aktive und passive Ansammeln von Punkten (z.B. Erfahrungs- oder Ruhmpunkte) garantiert einen steten Fortschritt. Dadurch werden selbst langweilige und mühsame Arbeiten reizvoll - wenn sie nur genug Punkte einbringen.
  • Status
    In Verbindung mit Punkten oder durch die Ausführung besonderer Taten können Nutzer besondere Statusabzeichen erhalten (z.B. Abzeichen oder Levels). Das stärkt das Selbstbewusstsein und regt zum Wettkampf mit anderen Nutzern an.
  • Wettbewerb
    Punkte und Status spiegeln die Qualität eines Nutzers wider. Der Wettbewerb mit Anderen (z.B. durch Bestenlisten und Ranglisten) motiviert dabei in der Regel zu weiterer Interaktion mit einer Webseite.
  • Soziabilität
    Die Kommunikation mit Gleichgesinnten (z.B. durch Freundeslisten oder Nachrichtensysteme) ermöglicht die Integration sozialer Aspekte im Webdesign. Eine Webseite wird auf diese Weise zu einer zentralen Anlaufstelle für zwischenmenschliche Beziehungen. 
  • Individualismus
    Die spielerische Anpassung einer Webseite (z.B. durch Avatare und grafische Anpassungen) ermöglicht die Verwirklichung individueller Vorstellungen. Somit kann ein Webdesign tatsächlich genau auf die Bedürfnisse und Vorlieben eines Nutzers zugeschnitten werden.
Eine Sammlung verschiedener Auszeichnungen, wie sie beispielsweise als Gamification im Webdesign genutzt werden könnten.
Durch Gamification lassen sich Auszeichnungen und Punkte als motivierende Elemente in ein Webdesign integrieren.

Die vier Spielertypen: Soziale Wettkämpfer und eifrige Entdecker

Beim Einsatz von Spielmechaniken ist es wichtig, zu beachten, dass nicht alle Menschen auf dieselben Spielmechaniken ansprechen. Dies zeigt sich unter anderem an der gleichmäßig verteilten Beliebtheit von Computerspielen verschiedenster Genres:

Infografik: Was Deutschland spielt | Statista
Die beliebtesten Spielegenres bei Computer- und Konsolenspielern in Deutschland.

Eine Einteilung in Genres allein bietet jedoch keine allgemeine Abgrenzung von Spielertypen. Vielmehr gibt es vier Arten von Spielern, die sich aufgrund ihrer Interessen und ihrem Fokus beim Spielen unterscheiden lassen:

Ein Achiever möchte Punkte und Auszeichnungen sammeln. Für ihn stehen persönlicher Erfolg und Ansehen im Vordergrund.

Versteckte Details und Hintergrundinformationen faszinieren den Explorer. Er möchte seine Umgebung frei erkunden können, ohne auf einen festgelegten Weg beschränkt zu sein.

Der Killer sucht den Wettkampf mit anderen Spielern. Ihm geht es häuptsächlich um Action und den Vergleich mit anderen Spielern.

Für den Socializer steht die Interaktion mit anderen im Vordergrund. Für ihn sind Elemente zur Kommunikation (wie ein Chat oder Freundeslisten) wichtig.

Zuordnung der vier Spielertypen zu den Faktoren Handeln, Umgebung, Interaktion und Mitspieler

Im Webdesign lassen sich diesen vier Spielertypen beispielhaft folgende Spielmechaniken zuordnen:

  • Achiever: Punkte, Levels, Abzeichen
  • Killer: Bestenliste, Rangliste, Rekorde
  • Socializer: Kommentare, Freundeslisten, Chat, Nachrichtensystem
  • Explorer: Abzeichen, Überraschendes, Weiterführendes

Computerspiele sind nicht nur Kindersache

Die Vermutung, dass "Computerspielen" nur etwas für Kinder und Jungendliche ist - und Gamification somit für eine ältere Zielgruppe keine Relevanz besitzt - ist falsch. Vielmehr erfreuen sich gerade in Deutschland alle Altersgruppen an Computer- und Videospielen!

Einfluss von Spielertypen auf den Erfolg einer gamifizierten Webseite

Der Einsatz von Gamification im Webdesign macht aus einer Webseite in der Regel kein vollwertiges Spiel. Daher muss eine gamifizierte Webseite - im Gegensatz zu einem Computerspiel - eine möglichst breite Masse an Spielern ansprechen, um die Zielgruppe nicht durch Fokussierung auf einzelne Spielertypen einzuschränken.

Spielmechaniken, die unabhängig oder übergreifend auf alle Spielertypen zutreffen, sind im Webdesign folglich von besonderer Bedeutung. Das sind unter anderem:

  • stetes Ansammeln von Punkten und Auszeichnungen
  • individuelle Anpassung der Anwendung
  • Möglichkeit, alleine zu spielen
  • Möglichkeit, zusammen zu spielen

Der Einsatz dieser "universellen" Spielmechaniken im Webdesign erhöht im Regelfall die Motivation und das Engagement von Nutzern - und erweist sich somit stets als Bonus für eine Webseite.

Die Integration von Spielmechaniken, die hauptsächlich auf einen Spielertypen zugeschnitten sind, sollte hingegen vorsichtig erfolgen und stets durch Daten aus der Nutzerforschung (wie Google Analytics oder Piwik) und im Dialog mit den Nutzern einer Webseite erfolgen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass neue Spielmechaniken immer sowohl den eigenen Produktzielen, wie auch den Bedürfnissen der Nutzer dienen.

Beispiel einer gamifizierten Webseite: stackoverflow.com

Auf der Online-Frageplattform stackoverflow.com diskutieren Nutzer weltweit über Fragen, Probleme und Trends rund um Webdesign, Webentwicklung und Online-Marketing. Die Webseite setzt dabei zahlreiche Spielmechaniken ein und motiviert Nutzer somit zu einer intensiven und langfristigen Interaktion mit der Frageplattform.

Screenshot der Webseite stackoverflow.com
Während eines Events auf stackoverflow.com können Nutzer ihre Avatare mit verschiedenen Hüten verschönern.

Neben der Auswahl eines Avatars bietet Stackoverflow beispielsweise regelmäßig Events rund um eine besonders kreative Gestaltung des eigenen Avatars an (aktuell beispielsweise den Winter Bash 2014). Das schafft ein Gemeinschaftsgefühl - und macht einfach Spaß.

Das Kernstück der Webseite - das Stellen und Beantworten von Fragen - gibt einem Nutzer Ruhmpunkte. Je besser die Antwort bzw. Frage, desto mehr Punkte bekommt der Nutzer. Für die Durchführung besondere Leistungen (wie eine ununterbrochene Nutzung der Webseite für 30 Tage) bekommt ein Nutzer zusätzlich besondere Auszeichnungen verliehen.

Verschiedene Bestenlisten ermöglichen dabei stets die Anzeige der aktivsten und besten Nutzer einer Woche, eines Monats oder eines Jahres. Zudem kann der eigene Punktestand über Widgets auf anderen Webseiten eingebunden werden - das motiviert, immer mehr Fragen auf der Plattform zu beantworten.

Nicht zuletzt durch das Zusammenspiel dieser Spielmechaniken hat sich Stackoverflow schließlich ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen und ist aufgrund der hohen Motivation der Nutzer und der damit verbundenen guten Qualität der Fragen und Antworten zu einem der besten Anlaufpunkte für Fragen rund um Webdesign und Programmierung geworden.

Ausblick: Gamification als Erfolgsfaktor im Webdesign

Im nächsten Artikel untersuchen wir, wie Gamification als Auslöser für gewünschtes Verhalten eingesetzt werden kann, indem bewusst menschliche Grundbedürfnisse angesprochen werden. Dabei beschreiben wir unter anderem, wie ein "Social Engagement Loop" die Motivation von Webseitenbesuchern steigert und wie Gamification die Bedienung einer Webseite oder Webanwendung einfacher erscheinen lässt.

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