In den letzten Jahrzehnten hat die Technologie große Fortschritte gemacht. Insbesondere interaktive Produkte wie Webseiten und Anwendungen werden immer nützlicher und nutzbarer, aber auch immer modischer und faszinierender. Sie wecken das Verlangen, sie zu besitzen und zu nutzen.
Neben der reinen Funktionsorientiertheit gewinnt dabei der Bereich der User Experience immer weiter an Bedeutung. Große Technologieunternehmen wie Apple und Google leisten sich immer größerere Abteilungen, die sich ausschließlich mit der User Experience neuer Produkte beschäftigen.

Gerade Webseiten und Webanwendungen sind komplexe technische Gebilde, für die es in der Regel keine konkrete Anleitung gibt. Damit bei Besuchern kein Frust aufkommt und sogar Spaß an der Nutzung einer Webseite entsteht, stellt eine hohe User Experience heutzutage einen sehr wichtigen Baustein im Webdesign dar.

Theorie der User Experience: Maschinen, die glücklich machen

Das Spektrum der User Experience lässt sich dem Kontext der Mensch-Maschine- Kommunikation zuordnen und ist somit eine breiter gefasste Form der Mensch-Computer-Interaktion. Diese ist definiert als:

„[...] discipline concerned with the design, evaluation and implementation of interactive computing systems for human use and with the study of major phe- nomena surrounding them“.

Hewett et al. 1996

In den folgenden Abschnitten stellen wir unterschiedliche Ansätze vor, die uns helfen können, die User Experience einer Webseite zu bewerten und somit im Webdesign bewusst zu beeinflussen.

Ergonomie und Hedonik im Webdesign

Im modernen Webdesign können wir zwischen ergonomischen und hedonischen Qualitäten unterscheiden. Die ergonomische Qualität beschreibt dabei, wie gut eine Webseite oder Anwendung als Werkzeug zur Erfüllung funktionaler Aufgaben genutzt werden kann und ist zu weiten Teilen deckungsgleich mit dem verbreiteten Begriff der Usability.

Usability nach ISO 9241

Usability eines Produktes ist das Ausmaß, in dem es von einem bestimmten Benutzer verwendet werden kann, um bestimmte Ziele in einem bestimmten Kontext effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

Im Gegensatz zu dieser funktionalen Qualität ist die hedonische Qualität durch Emotionen geprägt. Gefühle wie Freude, Ästhetik und Überraschung stehen im Vordergrund. Beide Qualitäten werden zwar unabhängig voneinander wahrgenommen, tragen aber gleich stark zur User Experience eines Produktes bei.

Die User Experience geht folglich über die reine Funktionalität eines Produktes hinaus. Wir als Webdesigner müssen unsere Arbeit also nicht nur funktional betrachten - sondern auch visuellen Elementen wie Ästethik und Schönheit große Bedeutung beimessen.

Sogar hedonistische Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung oder persönliche Weiterentwicklung können im Webdesign von Bedeutung sein, um einem Besucher eine wirklich gute Erfahrung zu bieten.

Drei Aspekte, die über die Usability hinausgehen

Insgesamt lassen sich im Webdesign drei Bereiche definieren, die zusätzlich zur Usability die User Experience einer Webseite bestimmen:

Diagramm mit den drei Aspekten der User Experience im Webdesign

Neben dem bereits angesprochenen ästhetischen Aspekt charakterisieren insbesondere Gefühle die vor, bei oder nach dem Besuch einer Webseite entstehen, die Erfahrung dieser Seite. Diese "Ebene der Emotionalität und des Affekts" bildet eine menschliche Perspektive und fokussiert die Erzeugung positiver Gefühle wie Spaß, Freude und Stolz.
Damit bildet sie einen Kontrast und eine Erweiterung zum Bereich der Usability, wo lediglich die Minimierung negativer Gefühle wie Frust oder Versagen im Vordergrund steht.

Abschließend trägt natürlich auch die eigentliche Erfahrung beim Besuch einer Webseite oder einer Anwendung zur User Experience bei. Diese ist zeitlich begrenzt und stark von der aktuellen Situation des Nutzers abhängig (psychologischer und physischer Zustand, Erwartungen und Ziele, Umweltfaktoren). Wir als Webdesigner können diese Situation nur sehr begrenzt beeinflussen, durch Beachtung einer guten Usability und Techniken wie dem responsive Webdesign aber zumindest sicherstellen, dass ein Besucher unsere Webseiten in jeder Situation komfortabel und effektiv nutzen kann.

Eine Frau formt mit ihren Fingern ein Fernglas, durch das sie schaut.
Ein Verständnis der menschlichen Wahrnehmung hilft, die Entstehung einer guten User Experience zu erfassen.

Vom ersten Eindruck zur reflektierten Meinung: Drei Ebenen der Wahrnehmung

In seinem 1988 erschienenen Buch "The Psychology of Everyday Things" - besser bekannt unter dem Namen der zweiten Auflage "The Design of Everyday Things" - stellt Donald Norman die Nützlichkeit und Nutzbarkeit eines Produktes über alle anderen Produkteigenschaften. Den Einfluss von Emotionen und Ästethik hält er für so gering, dass starke Kritik an seinem Werk aufkommt:

"If we were to follow Norman’s prescription, our designs would all be usable — but they would also be ugly."

Als Reaktion verfasst Norman das Buch "Emotional Design: Why We Love (or Hate) Everyday Things" und unterstreicht, dass Usability als einzige bedeutungsvolle Produkteigenschaft nicht ausreicht - und widerspricht damit seiner Aussage in den vorherigen Werken. Um den Einfluss von Emotionen und Ästethik – aber auch von Usability – zu untersuchen, entwickelt Norman ein dreistufiges Modell der Wahrnehmung:

Digramm der drei Ebenen der Wahrnehmung nach Norman (viszeral, behavioristisch und reflektiv)

Auch im Webdesign können wir den Wahrnehmungsvorgang in drei Ebenen unterteilen, auf denen Informationen einer Webseite (= Input) unterschiedlich verarbeitet werden.

Die viszerale Ebene (Ebene des Affekts)

Auf der viszeralen Ebene steht das Erscheinungsbild einer Webseite im Fokus. Ohne Nachdenken wird eine schnelle Entscheidung getroffen, die oft schon evolutionär vorbestimmt ist. Eine solche Entscheidung "im Affekt" ordnet eine Webseite beispielsweise ein als:

  • gut oder schlecht
  • nützlich oder überflüssig
  • attraktiv oder abstoßend

Diese erste Entscheidung kann von den beiden höheren Ebenen (behavioristische und reflektive Ebene) zum Teil beeinflusst werden.

Die hehavioristische Ebene (Ebene des Verhaltens)

Der Gebrauch einer Webseite oder Anwendung wird auf der behavioristischen Ebene bewertet. Hier sind die Faktoren Funktionalität, Nutzbarkeit, Nützlichkeit und Verständlichkeit von hoher Bedeutung.

Der Eindruck, der auf dieser Ebene entsteht, kann von der reflektiven Ebene verstärkt oder abgeschwächt werden. Gleichzeitig kann von der behavioristischen Ebene aus die viszerale Ebene beinflusst werden. So kann einerseits eine sehr nützliche Webseite (behavioristische Ebene) nur ungern genutzt werden, da die Interaktion keinen Spaß macht (reflektive Ebene). Andererseits kann eine unattraktive, visuell abstoßende Seite (viszerale Ebene) wegen ihrer guten Usability (behavioristische Ebene) dennoch verwendet werden.

Die reflektive Ebene (Ebene der Kognition)

Auf der reflektiven Ebene wird der erste Eindruck und/oder der Gebrauch einer Webseite schließlich intellektuell ausgewertet. So entstehen Emotionen wie Spaß und Freude oder aber Frust und Überforderung.

Da jede Ebene auf verschiedene Reize unterschiedlich stark reagiert, sind verschiedene Gestaltungsprinzipien und Produkteigenschaften nötig, um die Ebenen jeweils optimal anzusprechen.

Zusammenfassung: User Experience im Webdesign

Die vorgestellten Theorien von Hedonik und Ergonomie, sowie das Modell der drei Wahrnehmungsebenen hilft uns, bei der Planung und Gestaltung einer Webseite bewusste Entscheidungen für oder gegen ein Element zu treffen.

Gerade die Erzeugung oder Unterstützung positiver Gefühle wie Spaß, Freude und Stolz bekommt eine hohe Bedeutung, damit ein Webdesign tatsächlich eine gute User Experience vermittelt und Besuchern während - und sogar noch nach ihrem Besuch eine gute Erfahrung bietet.

Zwei Bilder eines Mannes: Einmal lachend, einmal frustriert.
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